Ein vom FWF gefördertes Projekt (P 25663-G19) unter der Leitung von Gudrun Klebinder-Gauß beschäftigt sich mit der Keramik und anderen Kleinfunden aus den protogeometrischen bis hellenistischen Nutzungsphasen im Areal des sogenannten Westkomplexes, eines großen Bauensembles am westlichen Rand der Akropolis von Ägina-Kolonna. Die Struktur und Ausdehnung des ‚Westkomplexes‘ konnten während der Grabungen der Jahre 2002 bis 2010 geklärt und verschiedene Phasen seiner Entwicklung erschlossen werden. Die prominente Lage, die Struktur sowohl der spätarchaisch-klassischen Anlage als auch des hellenistischen Nachfolgerbaus sowie die darin zutage gekommenen Funde ließen dabei von Anfang an auf eine besondere Bedeutung des Westkomplexes und auf eine kultische Funktion in Kombination mit Symposien schließen. Die Funde umfassen vornehmlich lokale Kochkeramik (Abb. 1), attische Glanztonware (Abb. 2), Reliefbecher (Abb. 3), korinthisches Tafelgeschirr (Abb. 4), Transportamphoren verschiedener Herkunft (Abb. 5), Lampen, Miniaturgefäße (Abb. 6), Webgewichte und Terrakotten (Abb. 7).
Zudem zeigte sich, dass das Areal bereits vor der Errichtung des spätarchaisch-klassischen Baus in der proto- und frühgeometrischen Periode als Bestattungsplatz genutzt worden war. (s. dazu unter
Feldforschung 2002-2010 mit weiterführenden Literaturverweisen)
Im aktuellen Forschungsprojekt soll ein Team von Spezialisten anhand der Funde von Keramik, Terrakotten, Schmuck, Tierknochen sowie mehrerer menschlicher Skelette verschiedene Fragestellungen zum
Areal des ‚Westkomplexes‘ klären:
Ein wichtiger Aspekt ist dabei die präzise chronologische Einordnung der von den Ausgräbern definierten Bauphasen dieses Gebäudeensembles. Auf diese Weise soll seine Position innerhalb der wechselvollen Geschichte Äginas, insbesondere während seiner Blütezeit als große Handelsmacht, der athenischen Besatzung und der Herrschaft der Attaliden, bestimmt werden. Aus der Analyse der früheisenzeitlichen Funde sind zudem wesentliche Hinweise für die Rekonstruktion der Entwicklung Kolonnas von einer Siedlung mit Bestattungsplatz zu einem reinen Heiligtum zu erwarten.
Anhand der Analyse des Fundspektrums soll die Verwendung einzelner Bereiche oder Baueinheiten erschlossen werden. Damit können neue Erkenntnisse zu der bislang nicht im Detail geklärten Interpretation dieser Anlage und zu einem eventuellen Funktionswandel gewonnen werden.
Aus
der Bestimmung der Herkunft der Gefäße können Rückschlüsse auf das Importverhalten der Ägineten in den verschiedenen Nutzungsphasen gezogen und damit vielleicht neue Einblicke in Äginas
Handelsaktivitäten gewonnen werden. Die gut stratifizierten Funde aus dem Westkomplex bieten zudem die Möglichkeit, die Entwicklung der äginetischen Kochkeramik – dem wichtigsten und weithin
exportierten Produkt der lokalen Keramikwerkstätten – in bislang unerforschten Perioden weiter zu verfolgen; dies gilt insbesondere für die frühe Eisenzeit und die Zeit nach dem 5. Jh. v. Chr.
Naturwissenschaftliche Untersuchungen, durchgeführt in Zusammenarbeit mit dem Fitch-Laboratory der British School at Athens unter der Leitung von Evangelia Kiriatzi, sollen dazu beitragen, unser
Wissen über ausgewählte Fundgruppen von lokaler und importierter Keramik zu erweitern.
Abb. 01, 02, 04, 02: © M. Del-Negro, Universität Salzburg, Fachbereich Altertumswissenschaften/Klassische und Frühägäische Archäologie
Abb. 03, 05, 06: © G. Klebinder-Gauss, Universität
Salzburg, Fachbereich Altertumswissenschaften/Klassische und Frühägäische Archäologie